Fläschchen, Milchpulver, Babybrei: Eine Lkw-Ladung voll mit Säuglingsnahrung haben Halis Erkis und Emin Özden in die Flüchtlingslager im Grenzgebiet von Syrien, Irak und Türkei gebracht. Die Männer aus Kamp-Lintfort und Bielefeld sind Mitglieder der „Gesellschaft Ezidischer Akademiker“ in Deutschland. „Wir, die GEA, haben die Not gesehen und sahen uns in der Pflicht, zu handeln“, nennt Diplom-Betriebswirt Erkis den Beweggrund.
Der Hilfstransport startete am 25. Dezember, und verlief nicht ohne bürokratische Hürden ab. „Der Lkw stand fast vier Tage an der türkischen Grenze“, berichtet Halis Erkis im RP-Gespräch. Der Kamp-Lintforter und sein Begleiter nutzten die Zeit und besuchten auf eigene Faust die Camps rund um Diyarbakir, Cizre und Silopi. „Wir sind sogar über die Grenze in den Nordirak gefahren. In Cizre gab es aber so heftige Kämpfe, dass wir zurückgekehrt sind. Es war zu gefährlich.“
Laut Halis Erkis leben noch viele Jesiden in den Bergen und versuchen, auf der Flucht vor der Terrororganisation „Islamischer Staat“ die Türkei zu erreichen. In den Lagern, die die beiden Mitglieder der Gesellschaft Ezidischer Akademiker besucht haben, leben jeweils zwischen 300 und 1500 Menschen. „Es sind vor allem Frauen und Kinder“, berichtet der Kamp-Lintforter, der bereits im vergangenen Oktober mit Unterstützung der Stadt und den in Kamp-Lintfort beheimateten Glaubensgemeinschaften einen Hilfsaufruf gestartet hatte.
In den Camps in der Türkei wurden die beiden Helfer aus Deutschland mit grausamen und traurigen Flüchtlingsschicksalen konfrontiert. „Die Menschen sind nur mit dem, was sie auf dem Leib trugen, geflohen. Viele haben keine Papiere mehr und bekommen in der Türkei nur einen vorübergehenden Ausweis.“ Erkis lernte in einem der Zelte, in denen die Menschen leben, zum Beispiel das gerade erst zwei Jahre alte Mädchen Anjolina kennen. „Beide Eltern wurden getötet. Sie lebt jetzt mit ihren Großeltern. Auf der Flucht mussten sie den 75-jährigen Opa zurücklassen, um den Rest der Familie in Sicherheit zu bringen. Er wurde zum Glück auch gerettet. Die Menschen haben uns von vielen Gräueltaten berichtet.“
Die Bedingungen in den Flüchtlingscamps stünden jedoch nicht zum Besten. „Die Leute leben dort unter schlimmen Bedingungen – bei Minustemperaturen. In einem Zelt befand sich eine Schule, und sobald es regnete, war es von Wasser unterspült. So etwas haben wir noch nicht erlebt“, erzählt Halis Erkis.
Die beiden Männer investierten weiteres Geld aus den eingesammelten Spenden, um vor Ort direkt zu helfen. Sie kauften Kinderjacken, Medikamente, Lebensmittel, aber auch Süßigkeiten und Bälle für die Kinder. „Obwohl die Kinder ein so furchtbares Schicksal erlebt haben, hatten sie ein freundliches Lächeln im Gesicht“, erzählt Erkis. „Wir haben spontan entschieden, wo weitere Hilfe nötig war.“ Vor allem das Leid der Kinder hat den Familienvater berührt. „Ich habe selbst Kinder. Als ich ihnen erklärt habe, warum ich in das Gebiet reise, hat mir meine Sechsjährige zehn Euro gegeben, weil auch sie helfen wollte“, erzählt Erkis. Der Kamp-Lintforter hat den Eindruck gewonnen, dass die in Europa versprochene Hilfe nicht vor Ort bei den Menschen ankomme.
Er beklagt auch die mangelnde humanitäre und medizinische Versorgung der Flüchtlinge. Die Gesellschaft hat sich vorgenommen, auf die Situation der Jesiden aufmerksam zu machen. In Diyarbakir kam der Kontakt zu einem Sozialverband zustande, der als Kooperationspartner den Hilfstransport aus Deutschland zu den Menschen brachte. Erkis: „Der Lkw kam erst an, als wir wieder zurück waren.“
Spendenkonto: Gesellschaft Ezidischer Akademiker, Sparkasse Essen, IBAN: DE43360501050004401949, BIC: SPESDE3EXXX